Tahiti 80

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Tahiti 80

Interview: Steve Winkler

Als ich euer neues Album "wallpaper for the soul" gehört habe, habe ich gedacht: Das klingt wie "puzzle Vol. II". Das meine ich gar nicht böse, sondern ich finde, ihr macht genau dort weiter, wo ihr mit dem Debüt aufgehört habt. Klar gibt es ein paar neue Ansätze in eurem Sound, aber insgesamt ist das doch eher Evolution als Revolution ...
Xavier Boyer: Klar, es ist eine Weiterführung von "puzzle", in der Hinsucht, dass wir mit der Platte damals schon ein paar Türen geöffnet hatten, durch die wir jetzt gegangen sind, z. B. bei "yellow butterfly", wo wir versucht haben, etwas experimentellere Song zu schreiben, ohne dabei jedoch die Melodien aus den Augen zu verlieren. Die Richtung ist schon die gleiche, aber daneben gibt es auch ein paar ganz neue Einflüsse. Wir hatten wirklich vor, etwas ganz anderes als beim ersten Album zu machen. Ich mag es nicht, wenn Leute sich ständig wiederholen und immer das Gleiche machen. Insofern ist unser neues Album eine Fortführung des ersten, gleichzeitig aber auch schon ein Ausblick darauf, was auf dem dritten passieren könnte. Wir wollten schon ein wenig experimentieren, ich z.B. habe ein paar Sachen mit meiner Stimme probiert, habe z.B. etwas tiefer gesungen, andere Dynamiken getestet. Aber es ist natürlich immer noch die gleiche Band, die gleichen Leute und darum gibt es wohl so etwas wie ein "Tahiti 80-Gefühl".
Ihre bewegt euch ja auch auf einem Gebiet, wo große Veränderungen kaum möglich sind. Popmusik im klassischen Sinn halt, wie sie in den 60ern von Beatles, Kinks, Beach Boys gemacht wurde und an diesem Format kann man nicht viel ändern, geschweige denn verbessern?
Das Paradoxe an Popmusik ist ja, dass sie zwar einfach klingen soll, es aber sehr schwierig ist, das auch zu erreichen. Aber gerade das ist ja mit das Spannendste an Popmusik. Wir haben begriffen, dass es da ein Format gibt, an das man sich halten muss, zumindest bei Singles. Bei anderen Sachen gibt es dann vielleicht auch die Möglichkeit, sich ein paar mehr Freiheiten herauszunehmen und nicht nur nach dem Schema Strophe-Refrain-Strophe-Bridge-Refrain zu arbeiten.
Ich habe gehört, dass man euch gerne mal mit Style Council vergleicht.
Wir haben vor kurzem ein Interview gegeben, in dem wir ständig auf Style Council angesprochen wurden. Ich habe mich aber nie wirklich für die interessiert. Vielleicht kommt der Vergleich ja daher, dass wir einen ähnlichen Weg wie sie beschreiten, und uns auch an Einflüssen aus den 60ern orientieren. Als ich aufwuchs, habe ich vor allem Punk gehört, The Clash, die Sex Pistols. Und ich hab es geliebt, weil es einfach zu spielen war. Insofern kann man vielleicht sagen, dass wir eine ähnliche Entwicklung durchmachen (Wie damals The Jam - Style Council). Vielleicht haben wir ja irgendwann die Nase voll von den einfachen Pop/Rock-Strukturen und machen ein Prog-Rock-Album, wer weiß. Ich hoffe allerdings, dass es nicht soweit kommt.
Ihr singt als französische Band englisch und ihr klingt auch recht britisch. Nun gibt es in Frankreich ja recht strikte Regelungen, was das Singen in Fremdsprachen angeht und überhaupt Kultureinflüsse aus dem anglo-amerikanischen Raum. Hattet ihr es da mit eurer Musik nicht recht schwer?
Nun, anfangs war es für uns schon nicht ganz einfach. Sie hatten gerade dieses Gesetz (zum Schutz der französischen Sprache, d. A.) verabschiedet, und einige meinten damals, dass es nicht gerade die beste Zeit für Plattenfirmen sei, englisch singende Bands zu verpflichten. Aber man hat uns trotzdem einen Vertrag gegeben, und glücklicher Weise war unser Label schlau genug und hat nicht versucht, unseren Sound zu ändern, sondern hat uns einfach machen lassen, was wir wollten. Ein weiteres Paradoxon an diesem Gesetz ist, dass es seit seiner Verabschiedung zwar eine Reihe sehr erfolgreicher französischer Bands gibt, dass es sich bei diesen aber um Elektro-Pop-Bands handelt, oder um Bands, die spanisch singen. Insofern haben sie mit diesem Gesetzt das ganze Gegenteil von dem erreicht, was ihnen eigentlich vorschwebte.
Produziert wurde euer neues Album von Andy Chase, seines Zeichens Kopf des New Yorker Pop-Trios Ivy (außer Andy noch seine Frau Dominique Durant sowie Adam Schlesinger von Fountains Of Wayne), deren Album "appartment life" zu meinen "Alltime Favourites" gehört ...
Nun, es war so, dass wir irgendwann anfingen, über mögliche Produzenten nachzudenken. Und wir wollten gern mit einem ausländischen Produzenten arbeiten, am liebsten mit jemandem aus Amerika, weil wir das Gefühl hatten, dass die britischen Produzenten meist ein wenig zu "clean" klingen. Uns schwebte ein etwas dreckigerer Sound vor, auch wenn Ivy's Platten zugegebenermaßen alles andere als dreckig klingen, aber Andy hat es drauf, jeder Band den Sound zu verpassen, den sie will. Jedenfalls waren wir damals am Überlegen und dann hat jemand Andy vorgeschlagen, und wir dachten: "Klar, warum nicht!" Wir kannten ein paar Sachen von Ivy, waren aber nicht die Riesen-Fans. Naja, wir haben ihn dann getroffen und fanden, dass er ein netter Kerl war. Inzwischen ist er einer meiner besten Freunde, ich mag ihn wirklich sehr. Er müsste jetzt bald zum zweiten Mal Vater werden, ich wird ihn wohl gleich mal anrufen.
Der Titel eures neuen Albums ist "wallpaper for the soul". Ich finde den reichlich ambivalent, einerseits ist das Bild von der "Seelentapete" ein schönes, andererseits gibt es ja auch den abwertenden Begriff "Musiktapete" ...
Da hast du Recht, wenn es um Musik geht, wird "Tapete" nicht gerade als Kompliment verstanden. Aber wenn man "Tapete" mit "Seele" kombiniert, dann erreicht das eine andere Ebene. Es gibt dazu auch eine Geschichte: Im September 2001 arbeiteten wir gerade an "thousand times". Wir saßen zu Hause und feilten an der Programmierung und am Groove, und wir waren von der Arbeit total gefesselt, als ich einen Anruf von meine Mutter bekam. Es war am 11. September, wir schalteten dann den Fernseher ein und sahen, wie die beiden Flugzeuge in die Twin Towers einschlugen. Wir sollten ein, zwei Monate später nach New York fliegen, um dort das Album aufzunehmen. Aber in diesem Augenblick fühlten wir uns einfach so unnütz, weil da etwas derart dramatisches ablief, während wir nichts weiter als Popmusik machten. Nach dem Anschlag konnte ich erst mal drei, vier Tage gar keine Musik machen, ich fühlte mich beschissen und wusste nicht, was ich tun sollte. Aber dann erinnere ich mich, wie ich nach dieser Zeit einen Song der Turtles auflegte, und wie mich dieser irgendwie glücklich stimmte, wie ich beim Hören begann, mich besser zu fühlen. Ich habe eben ein sehr spezielles Verhältnis zu Musik, auch wenn ich weiß, dass sie nicht so grundlegend ist wie Essen, Trinken und andere rein körperliche Bedürfnisse. Aber trotzdem kann ich nicht ohne Musik leben. Und das wollte ich auch mit diesem Albumtitel ausdrücken, ein Gefühl, das sehr leicht, aber auch ungeheuer schwer sein kann. Mir geht es auch oft so, dass mich ein Song, z. B. von den Beach Boys, mehr berührt als Gespräche mit irgendwelchen Personen. Musik-Fans sind, glaube ich, ziemlich eigenartige Menschen ...
Dann habt ihr auch eine echte Legende für die Arbeit an "wallpaper for the soul" gewinnen können. Richard Hewson, der u. a. die Streicher-Arrangements für "let it be" von den Beatles schrieb, hat auch die Streicher für euer Album arrangiert. Später war der ja auch Chef der Rah Band, die mit "clouds across the moon" einen Riesenhit hatten. Wie habt ihr den denn aufgetrieben, der muss doch inzwischen schon ziemlich alt sein?
Er ist jetzt 60. Das Witzige ist, dass ich das erste Mal was von ihm auf einem James Taylor-Album gehört habe, dem ersten, das er für Apple Records produziert hat, auf einem Song, nämlich der Orchester-Version von "carolina in my mind", bei dem übrigens Paul McCartney Bass spielt. Ich mochte den Sound von James Taylor anfangs gar nicht, inzwischen liebe ich seine Platten. Damals aber dachte ich, dass diese Arrangements die Platten gerettet hatten, ich fand sie einfach umwerfend, außergewöhnlich und sehr kreativ. Und schon damals dachte ich mir, dass, wenn wir jemals das Geld und den Mut aufbringen könnten, wir dann unbedingt mit diesem Typen arbeiten sollten.
Und Richard Hewson?
Wir haben den Kontakt zu ihm gesucht. Und als wir dann mal im Internet recherchierten, was er so alles gemacht hatte, und dabei entdeckten, dass er u. a. mit den Beatles, mit Nick Drake und mit Paul McCartney gearbeitet hatte, da haben wir schon ein wenig Fracksausen gekriegt. Hätten wir vorher gewusst, dass er mit den Beatles gearbeitet hat, hätten wir ihn vermutlich gar nicht erst gefragt, weil er für uns "unerreichbar" gewesen wäre.
Welche fünf Platten zählen zu deinen "Alltime Faves"?
Ich gebe dir mal zwei Top Fives. Die erste ist die: "pet sounds" (Beach Boys). "revolver" (Beatles), "what’s going on" (Marvin Gaye), "sandinista" (The Clash). Das ist aber, was du von fast jedem hören wirst, und deswegen gebe ich dir noch eine alternative Top Five: "radio city" (Big Star), "come to my garden" (Mini Reeperton) aus dem Jahr 1968, "watertown" (Frank Sinatra), das erste Album der Stone Roses und "3 feet high and rising" (De La Soul).


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